Freiburg, den 12.6.2014

Betreff: Anfrage nach § 24 Abs. 4 GemO außerhalb von Sitzungen
hier:
Überwachung der Innenstadt durch die VAG

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Dieter Salomon,

bereits im Jahr 2009 hatte ich in Briefen an die VAG und die Aufsichtsbehörde für den Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich, dem Innenministerium von Baden-Württemberg auf die datenschutzrechtlichen Probleme mit der ausgeübten Praxis der Videoüberwachung durch die VAG an Haltestellen, besonders rund um den Bertholdsbrunnen hingewiesen.

Die Überwachung ganzer Straßenkreuzungen und des Umfeldes von Haltestellen wurden in der Antwort aus dem Ministerium beanstandet und hatten einen dringenden Handlungsbedarf ergeben:

Mit den Streckenkameras können unter anderem Haltestellenbereiche, Straßen, Gehwege überwacht und dabei personenbezogene Daten erfasst werden. (…) Die Streckenkameras eröffnen die Möglichkeit, Kreuzungspunkte oder an Kreuzungspunkten verlaufende Straßenzüge auf einer Länge von jeweils 100 Meter mehr zu erfassen, einzelne Personen oder Kfz-Kennzeichen in den Blick zu nehmen und auch dann, wenn sich diese in größerer Entfernung von den Kameras befinden, so an diese heranzuzoomen, dass diese deutlich erkennbar sind und das Verhalten von Personen beobachtet werden kann (…)

Erforderlichkeit verlangt jedoch mehr. Erforderlich muss gerade der Einsatz der Videotechnik sein. Erforderlichkeit ist nicht gegeben, wenn der Zweck der Videoüberwachung auch durch mildere, in die Rechte Betroffener weniger eingreifende, ebenfalls geeignete Mittel erreicht werden kann. (…)

Mit Hilfe der von der VAG eingesetzten Videoüberwachung können im gesamten Streckenbereich und an Haltestellen nicht nur der Straßenbahnverkehr und die von der Straßenbahn genutzten Verkehrsflächen überwacht und der Betriebsablauf gesteuert, sondern die die Straßen nutzenden Teilnehmer am öffentlichen Verkehr, die Fußgänger auf den Gehwegen und in Fußgängerzonen, Gebäudefassaden, Balkone und Terrassen, Eingangsbereiche von Wohn- und Geschäftshäusern, Bereiche, in denen beispielsweise Gastronomie betrieben wird und die zur sozialen Kommunikation genutzt werden, Kinderspielplätze, sonstige Sitz- und Aufenthaltsbereiche und die dort befindlichen Personen überwacht werden. (…)“

Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob die auf den Straßenbahnbetrieb
und die Haltestellen beschränkte Videobeobachtung für die festgelegten
Zwecke erforderlich in dem oben beschriebenen Sinne ist. Es fragt sich, ob für diese Zwecke nicht andere, das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen nicht oder weniger tangierende Mittel eingesetzt werden können. Die VAG wird diese Frage unter Berücksichtigung des oben genannten rechtlichen Maßstabs zu prüfen und darzulegen haben. (…)

die Betroffenen deutlich über die Videoüberwachung zu unterrichten, bevor sie in den Überwachungsbereich der Kameras kommen. Dabei muss der gesamte überwachte bzw. überwachbare Bereich kenntlich gemacht werden. Die Hinweise müssen so angebracht werden, dass sie von allen in Betracht kommenden Verkehrsteilnehmern (Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer) aus jeder Richtung gut erkannt werden können. Die diesen Grundsätzen nicht entsprechende derzeitige Praxis verstößt gegen § 6b Abs. 2 BDSG und wurde von uns ebenfalls beanstandet.”

Hier der gesamte Antwortbrief auf meine Beschwerde: http://sbamueller.files.wordpress.com/2010/09/videouberwachungvagantwortinmi.pdf

Weitere Informationen dazu auch auf meinem Blog: http://sbamueller.wordpress.com/2010/09/29/videouberwachung-durch-vag-rechtswiedrig/

Mit Blick auf die nun bekannte Überwachungslage in Deutschland durch die NSA, andere Geheimdiensten und die durch das Innenministerium un die Datenschutzszene kritisierte Praxis bin ich gespannt, ob es zu substantiellen Veränderungen des Überwachungsverhaltens durch die VAG kam.

Am zentralen Umsteigeplatz „Bertholdsbrunnen“ sind z.B. immer noch dreh und schwenkbare Kameras mit Zoomfunktion installiert.

Da ich 4 Jahre später keine großen Veränderung der Überwachungspraxis feststellen kann, noch eine deutlichere Kennzeichnung des überwachten Bereiches wahrnehme, frage ich:

  1. Ist der Stadtverwaltung die Position des Innenministeriums in all ihrer Tragweite bekannt und zieht sie zusätzlich durch den durch NSA-Skandal geschärften Bewusstsein der Bevölkerung, Konsequenzen daraus?

  2. Hat die Stadtverwaltung und/oder der VAG-Aufsichtsrat aufgrund des NSA-Skandals mit der VAG über die Gefahren eines technisch möglichen Missbrauchs durch die NSA gesprochen und entsprechende Sicherheitsmaßnahmen angeregt?

  3. Wie hat die VAG in ihrer Überwachungspraxis auf die Rüge der Aufsichtsbehörde für den Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich im Innenministerium von Baden-Württemberg reagiert?

  4. Sind die Hinweise an den Haltestellen nun deutlich für alle Verkehrsteilnehmer aus allen Richtungen sichtbar? Wo wurden sie angebracht?

  5. Wie hat die VAG ihr Überwachungssystem gegen einen Missbrauch durch Geheimdienste oder anderer Stellen und Gruppen geschützt?

  6. Wurde die 2009 angekündigte genaue Statistik über die Straftaten, um nachweisen zu können, ob und in welchem Umfang die Beobachtung erforderlich sei, mittlerweile ausgewertet und welche Konsequenzen wurden aus der Analyse gezogen?

  7. Welche durch die Bewertung des Innenministeriums grundsätzliche und über Baden-Württemberg hinausreichenden Konsequenzen wurden vom Verband deutscher Verkehrsbetriebe mittlerweile gezogen?

  8. Inwiefern sind Polizeibeamten Daten aus der VAG-Überwachung direkt zugänglich und wie werden diese an die Polizei im Falle einer Straftat weitergegeben?

Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen.

Sollte Ihnen eine Beantwortung der Fragen noch in der Amtszeit dieses Gemeinderates nicht mehr möglich sein, dann bitte ich darum die Antwort meinen Nachfolgern von Junges Freiburg zu übermitteln.

Ihr Sebastian Müller
Stadtrat Junges Freiburg

Eine Mehrfertigung des Schreibens an die Medien und das Innenministerium.